Abgeordnete für vier Tage

Vom 23.06.2018 bis 26.06.2018 war das Jugend und Parlament Planspiel vom Bundestag in Berlin. Etwa die Hälfte der Abgeordneten durften Jugendliche zwischen 17 und 20 Jahren einladen. Ich durfte, eigeladen von Margarete Bause, eine davon sein. 
Das Szenario ist, dass 3 Parteien im Bundestag vertreten sind: BP (Bewahrungspartei),GP (Gerechtigkeitspartei) und PEV (Partei für Engagement und Verantwortung). Es wurden vier Gesetzesentwürfe vorgegeben, die in Ausschüssen verhandeln wurden und dann im großen Plenum im Plenarsaal abgestimmt wurden. 
Ich war als 33jährige Annika Friese in der PEV mit Schwerpunkt ökologische Zusammenhänge und verantwortungsbewusstes Leben. Die Partei war von ihren Positionen eine Mischung aus Grünen und CDU, also relativ mittig. 
Das Planspiel begann, nach einigen Formalitäten und einer offiziellen Begrüßung durch Bundestagsvizepräsidenten Dr. Hans-Peter Friedrich am Samstag, so richtig erst Sonntagmorgen. Innerhalb der drei Landesgruppen der PEV wurden jeweils zwei Kandidat*innen für die Wahl der Fraktionsvorsitzenden gewählt. Aufgefallen ist dabei, dass sich 9 männliche und nur 4 weibliche Abgeordnete zur Wahl gestellt haben. In der anschließenden Fraktionssitzung hat dann die Fraktion aus den 6 vorgeschlagenen Kandidat*innen jeweils eine*n weibliche und männliche Fraktionsvorsitzende*n und Stellvertreter*in gewählt. Und das wars dann aber auch schon mit Quotierung innerhalb der Partei. Denn die PEV lehnt Quotierung ab. Doch auch diese eine Vorgabe der Quotierung konnten einige nicht akzeptieren und haben auf dem Wahlzettel wo klar stand, dass man eine weibliche und eine männliche Person wählen muss, zwei männliche Personen gewählt. Und einer*m hat auch das nicht gereicht und es bei dem weiblichen Mandat Ursula Haverbeck und bei dem männlichen den Namen eines NPD Mitglieds draufgeschrieben. 
Danach ging es mit der inhaltlichen Arbeit weiter. Jeweils die Mitglieder der Ausschüsse, die an einer Gesetzesentwicklung beteiligt sind haben sich getroffen und sich inhaltlich mit ihren Themen auseinandergesetzt. In meinem Fall war das der Gleichstellungsausschuss. Wir sollten zusammen mit dem Arbeitsausschuss und dem Innenausschuss über das „Gesetz über verbindliche Vorgaben zur Reduzierung von Diskriminierungsmöglichkeiten bei Bewerbung für die Behörden des Bundes“ beraten. Inhalt des Gesetzesentwurfs war, dass persönliche Angaben wie Name, Nationalität, Anschrift, Foto und Geburtsdatum bei schriftlichen Bewerbungen geschwärzt werden sollten. Ein interessantes Thema wie ich fand. Und es hat auch super angefangen. Die Menschen, die mit mir im Gleichstellungsausschuss der Fraktion waren, haben super konstruktive Ideen und Bedenken eingebracht und wir waren uns schnell sicher, dass wir den Gesetzesentwurf super finden und ihn noch dadurch ergänzen wollen, dass Hinweise zu Religion, Behinderung und Krankheit auch in schriftlichen Bewerbungen geschwärzt werden sollen. Doch dann kam die gemeinsame Besprechung mit den anderen Teilnehmer*innen der Arbeitsgruppe. Nur noch kurz zum Hintergrund: Wir bekamen von der Spielleitung Angaben zur Rolle und deren Position. Und im Falle dieses Gesetzesentwurfs ist die PEV klar für die Anonymisierung der schriftlichen Bewerbung. Doch das wollten einige (eventuell Junge Union und Junge Alternative Mitglieder) wohl nicht verstehen. Da ich als Gleichstellungssprecherin gewählt wurde, durfte ich unsere Positionen den anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe vorstellen. Wir dachten eigentlich, dass das kein Problem darstellen sollte, doch da hatten wir nicht mit dem Innen- und Arbeitsausschuss gerechnet. Denn die hielten es für unzumutbar, dass Arbeitgeber*innen Menschen mit Behinderung einfach zum Gespräch einladen sollten. Und kamen mit Argumenten wie „ein Name beeinflusst doch heute niemanden mehr“ oder „Man muss doch wissen welche Nationalität ein Mensch hat, sonst kann der vielleicht nicht gut genug Deutsch“. Außerdem wurde immer wieder gesagt, dass sich dann ganz viele kleinwüchsige und gehbehinderte Menschen bei der Polizei bewerben würden. Und das, obwohl wir davor sogar Infomaterial und Statistiken bekommen hatten, die diese Behauptungen wiederlegten. Wir konnten dem zwar immer Gegenargumentieren, doch auch aufgrund Zeitmangel haben wir es nicht geschafft uns auf Positionen und Änderungsanträgen zu einigen, die wir der Fraktion präsentieren konnten. Doch das war genau die Aufgabe von mir und den der anderen zwei Sprechern der Ausschussfraktionen. Die anderen drei Arbeitsgruppen haben sich mehr oder weniger geeinigt, oder konnten der Fraktion zumindest etwas vorlegen. 
Und dann kamen wir. Wir hatten uns im Arbeitskreis zumindest schon mal auf drei Änderungen geeignet. Also bin ich mit den anderen zwei Sprechern von unserer Arbeitsgruppe vor und hab als erstes unsere Änderung bezüglich Religion, Krankheiten und Behinderungen vorgestellt, auf die wir uns ja eigentlich geeinigt hatten. Eigentlich denn nachdem ich dem Plenum Zeit für die Aussprache geben wollte, haben sich die anderen zwei Sprecher zu Wort gemeldet. Die haben nämlich zu zweit einfach beschlossen, dass sie noch eine Sitzung des Arbeitskreises haben wollen. Das geht vielleicht im echten Leben. Aber im Planspiel ist dafür nicht die Zeit. Nach einiger Diskussion haben sie das dann zwar aufgegeben, doch konnten es nicht lassen, alle Beschlüsse zu Nichte zu machen und jeden Punkt noch einmal neu zu besprechen. Und zwar nicht so wie es die Rolle vorgibt, sondern selbstdarstellerisch mit eigenen Positionen. Unterstützt wurden sie teilweise von ihren Parteifreunden (aus dem echten Leben). Sie haben den ganzen Antrag in Frage gestellt, wollten fast alle persönlichen Daten in der Bewerbung lassen und haben sich obengenannter rassistischer Argumenten bedient. Ich bin mit der Zeit richtig wütend geworden. Vor allem da sie zu mir leise noch schlimmere Argumente gebracht haben. Der Höhepunkt war am Schluss, als die Debatte formal beendet war.Bei der Bundeswehr kann man nur Deutsche einstellen, weil alle anderen Gefährder sein können“, wurde gesagt. Und sie wollten dafür auch meine Zustimmung. Da bin ich dann gegangen. Mein Problem war natürlich nicht, dass sie eine andere Meinung hatten als ich. Das wäre vollkommen in Ordnung gewesen. Das Problem war, dass sie nicht in der Rolle geblieben sind, sondern die Bühne genutzt haben um sich und ihre Positionen in den Mittelpunkt zu stellen. Am Ende haben wir eigentlich nur gestritten und haben kaum konstruktive Positionen gefunden. 
Weiter ging es am nächsten Tag. Die Ausschusssitzung mit den anderen Fraktionen am Montag war dann überraschend gut. Dort waren die Leute wirklich im Spiel und es war interessant mitzubekommen, wie wir mit unserem Koalitionspartner, der GP, Deals und Kompromisse geschlossen haben um unsere Änderungen gegen die Opposition, der BP, durchzubringen. Und mit dem Ergebnis war ich, als Annika Friese, sehr zufrieden. Leider waren nicht wir, sondern der Innenausschuss federführend, sodass am Ende die Änderungen die mir so wichtig waren, nämlich dass eben Krankheit und Behinderung in der schriftlichen Bewerbung nicht ersichtlich sein dürfen, nicht übernommen wurden. Aber so ist nun mal Politik. Insgesamt war ich, angesichts der „Diskussion“ am Tag zuvor, trotzdem überrascht, wie gut es doch gelaufen war. Jedoch konnten das einige wohl nicht dabei lassen. Die nächste Fraktionssitzung kam und damit die nächsten 2,5 Stunden voller Kopfschütteln über einige Mitglieder. Denn da wurden die Redner*innen für die Plenardebatte am nächsten Tag bestimmt. Das wurde wieder innerhalb der Arbeitsgruppe gemacht. Und da wir wollten, dass aus jedem Ausschuss ein Mitglied, mindestens eine Frau und einer aus der Landesgruppe West, reden durfte, standen einige nicht zur Wahl. So ist das nun mal mit Quoten. Das haben aber einige nicht akzeptiert und dann in der Fraktionssitzung erst einmal den Vorstand und die Wahl in Frage gestellt und diesen „Quotenquatsch“ bemängelt. Nach Geschrei und Gezeter haben wir das Ergebnis der Wahl zum Glück doch beachtet und die Diskussion beendet. Doch das hat einige dann dazu bewogen, nach jeder Besprechung unserer Gesetzesfassung sich zu melden und zu sagen, dass er morgen gegen die Fraktion sprechen wird. Ein anderer hat gefragt ob wir denn morgen im Plenum die dritte Strophe des Deutschlandlieds singen und wollte das Nein nicht akzeptieren. Aus Protest hieß es dann, dass sie es abends im Hostel singen wollen. Selbe Person konnte natürlich auch die Pausen nicht ohne Aufmerksamkeit verbringen und hat über sein iPad (mit Deutschlandflagge als Hintergrund) Lieder abgespielt. 
Dann kam am Dienstag schon die Abschlussplenardebatte. Vier Vizepräsident*innen haben die Sitzung geleitet. Das war wieder mega spannend. Es gab viele Zwischenfragen und Zwischenrufe und es wurde auch angemessen gegeneinander gekämpft. Die oben angesprochenen Wichtigtuer haben es sich natürlich nicht nehmen lassen, nicht in ihrer Rolle für die PEV zu stimmen, sondern immer für die BP, die im Spiel die konservative Partei ist. Insgesamt wurde der Gesetzesentwurf über die schriftliche Bewerbung angenommen. Und so war das Spiel zu Ende. 
Es hört sich jetzt vielleicht alles sehr negativ an. Doch mal abgesehen von den genannten Personen hat es sehr viel Spaß gemacht. Man hat teilweise total vergessen, dass man nur in einem Spiel ist und richtig gefühlt, wie die Arbeit der Abgeordneten ist. Und auch wie anstrengend und nervenauftreibend. Außerdem war es schon irgendwie cool einen Ausweis zu haben mit dem man sich im ganzen Bundestag frei bewegen durfte.
Ich hatte vorher etwas Sorge, dass ich es nicht schaffe meine eigene Meinung aus dem Spiel rauszuhalten. Doch zum Glück konnte ich mit meiner Spielpartei in vielen Punkten mitgehen. Der größte Unterschied war die Sache mit der Frauen*quote. Die hat die PEV konsequent abgelehnt. Das heißt, ich musste mir Argumente dagegen überlegen, ohne diese gleich wieder zu wiederlegen. Das war manchmal gar nicht so einfach. Aber auch interessant, sich in die Gegenposition hineinzudenken.
Das Schwierigste an diesen vier Tagen war der Umgang untereinander. Denn man unterhält sich natürlich auch außerhalb der Rolle und vertritt dann seine Meinungen. Ich habe öfter die Erfahrung gemacht, dass mir JUler und JAler mit viel Arroganz begegneten. Linksgrüne Positionen und meine Meinung wurde als Schwachsinn abgetan, ohne eine Ebene der Diskussion zu schaffen. Außerdem wurde ich von einem ehemaligen Juso und jetzt AfD Mitglied als linksextreme Terroristin beschimpft, da ich mit der Antifa unterwegs bin. Da braucht man dann auch keine Argumente bringen. Das Weltbild ist so unterschiedlich, da gibt es keine Diskussionsebene. Insgesamt kam von allen Teilnehmer*innen von Linke bis CDU die Rückmeldung, dass die AfD Mitglieder sich daneben benommen haben und negativ aufgefallen sind. 
Ich bin offen in die vier Tage gegangen. Doch leider haben sich meine Vorurteile zu großem Teil bestätigt. Schade eigentlich.