Buchtipp I Frauenkaserne

Hinter dem irritierenden Cover von „Frauenkaserne“ von Tereska Torres (Nein, es ist nicht die junge Angela Merkel in Uniform!) verbergen sich spannende Geschichten über das Leben von Soldatinnen während des Zweiten Weltkriegs.

Ursula, Jacqueline, Mickey und Tereska sind Französinnen, die sich aus Liebe zum Heimatland und Charles de Gaulle freiwillig zum Kasernenleben verpflichtet haben. Sie sind noch ziemlich jung, fast noch Kinder, die jüngste erst 14. Der Krieg tangiert sie eher indirekt; ihre Hauptaufgabe ist es, Nachrichten in Morsecode weiterzuleiten. Eigentlich beschäftigen sie vor allem Liebe und  Sex. Die Mädchen genießen im Kasernenleben Freiheiten, die daheim in Frankreich unter elterlicher Fürsorge unmöglich gewesen wären. Sie lernen in ihrer Umgebung in London Soldaten und andere Männern kennen und gehen mit ihnen abends aus. Für einige ist das eine ganz neue Erfahrung, sie haben zum ersten Mal Sex und machen sich deshalb mehr oder weniger viele Gedanken. Die meisten haben verschiedene lockere Affären, andere Mädchen haben das Gefühl, die große Liebe kennengelernt zu haben. Auf die aber wartet vielleicht zuhause in der Grande Nation eine Ehefrau und Kinderlein…

Und dann gibt es noch die „ganz anderen“: Frauen, die mit Frauen Sex haben, aus verschiedenen Gründen. Ann und Petit zum Beispiel sind lesbisch. Sie leiden oft darunter, dass die heterosexuellen Frauen sie nur gerade so akzeptieren, aber keinerlei Verständnis zeigen, dass homosexueller Liebeskummer genauso schlimm ist wie der eigene. Denn auch unter den Lesben entspinnen sich wechselnde Beziehungen. Mickey, der Wildfang, probiert einfach alles aus und macht überall mal mit. Claude hingegen, bereits Anfang 40 und der schillernde Bohèmien-Paradiesvogel der Kaserne, hat Sex mit Frauen, insbesondere jungen Mädchen, um Macht auszuüben und Männer mit ihrer überbordenden Sexualität zu verführen.

Auch sozial prallen Welten aufeinander: Jacquelines Familie beispielsweise ist verarmter Adel, Ursula ist die Tochter reicher Eltern. Und plötzlich finden sie sich inmitten einfacher Arbeiterinnen wieder. Aber obwohl die Frauen aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen stammen, entwickeln sich tiefe Freundschaften zwischen ihnen.

Die Geschichte, die sich über die gesamte Kriegszeit erstreckt, beruht auf Tereska Torres Kriegstagebuch und ist in weiten Teilen wirklich so passiert. Torres, selbst heterosexuell, geht sehr einfühlsam auf die Erlebnisse ihrer lesbischen und teils gender-queeren Kameradinnen ein. Es ist erfrischend und ermutigend zu lesen, dass es auch zu diesen vergleichsweise prüden Zeiten Frauen gab, die ihre Sexualität, egal ob homo oder hetero, frei auslebten.  Mich bewegt an dem Buch, wie nachvollziehbar die Gefühle und Handlungen der Protagonistinnen sind. Obwohl die äußeren Umstände so anders sind und über 60 Jahre zwischen uns liegen, haben wir im Grunde die gleichen Probleme, Ängste und Freuden. Es ist allerdings erschreckend, wie wenig sich an den Sorgen, die sie sich deshalb machten, im Vergleich zu den Sorgen, die ich und andere Frauen uns heute machen, geändert hat.

Egal ob geschichts- und politikinteressiert oder nicht, „Frauenkaserne“ kann ich jedem an Herz legen. Es ist ein spannendes, sehr bewegendes Buch über Frauen, aber nicht nur für Frauen, und bietet einen persönlichen Einblick in das Leben und Lieben von Menschen in der Mitte des 20. Jahrhunderts.