Ein kritischer Blick auf die Pränataldiagnostik

Das Thema der Pränataldiagnostik (PND) ist ein super sensibles Thema, dass viele Frauen* und Männer* in ihrem Leben schon beschäftigt hat und / oder beschäftigen wird. Ich versuche in diesem Artikel meine ganz persön­liche Meinung darzustellen. Allerdings ist klar, dass einigeLeser*innen völlig anderer Meinung sind. Und das ist auch gut so. Meine Sichtweise ist auf keinen Fall allgemeingültig und soll auch innerhalb der GRÜNEN JUGEND diskutierbar bleiben.

So gut wie jede Schwangerschaft wird heutzutage in Deutschland durch pränataldiagnostische Maßnahmen begleitet und überwacht. Einige – allen voran der Ultraschall – gehören zu den routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen, die kaum noch in Frage gestellt werden und im gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenkassen verankert sind. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Zusatzleistungen, die Chromosomenstörungen (bspw. Down-Syndrom) und andere Erkrankungen ausschließen soll. Eine dieser Zusatzleistungen sind Bluttests wie beispielsweise der „PraenaTest“ von der Firma LifeCodexx, der schon ab der 12. Schwangerschaftswoche Auskunft über das Vorliegen eines Down-Syndroms geben soll. Zu dessen Durchführung wird nur etwas Blut der austragenden Person benötigt, um die fetalen Erbinformationen herauszufiltern und zu untersuchen. Von verschiedenen Seiten in Deutschland wird überlegt, diese Methode in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Die gesellschaftliche Diskussion blieb aus, es gab keine große Empörung (in feministischen Netzwerken und Organisationen natürlich schon!). Und so tagt nun der Gemeinsame Bundesausschuss, ob der Bluttest von der Krankenkasse für Risikoschwangerschaften (unter anderem für Frauen ab 35. Jahren) übernommen werden soll. Dazu muss erwähnt werden, dass in Deutschland mittlerweile laut Statistiken des Aqua Instituts 76% aller Schwangerschaft als Risikoschwangerschaften eingestuft werden und somit bei sehr viele Frauen* dieser Test übernommen werden würde.

Warum finde ich das aber sehr wohl em­pörenswert und kritisch zu hinterfragen?

  1. Ich finde, dass Mensch erstmal die Firmen unter die Lupe nehmen sollte, die diese Bluttests auf dem Markt anbieten. LifeCodexx beispielsweise, welche den PraenaTest schon 2012 hervorbrachte, freute sich natürlich sehr, dass die anstehenden Kosten der Bluttest vielleicht bald von den Kassen erstattet werden soll. Freut sich diese Firma, weil sie den Frauen* nun wirklich „helfen“ kann oder weil das eine Gewinnmaximierung für die Firma bedeutet? Ich glaube wohl her letzteres. Die Verbindung zum Begriff Konsum sollte in dieser Debatte nicht vergessen werden. Schließlich stehen hinter den ganzen pränatalen Tests große Pharmaunternehmen, deren Interesse primär an Geld und Profit besteht. Geworben wird von der Firma LifeCodexx übrigens, dass die „Testdurchführung natürlich in Deutschland“ stattfindet (siehe LifeCodexx 2017). Nach dem Motto: Deutsche Marke = Gutes Produkt (es handelt sich hier jedoch nicht um ein Auto!).
  2. Es steckt eine zutiefst behindertenfeindliche Logik hinter der Pränataldiagnostik. Es wird mit großem medizinischem Aufwand nach potentiellen Behinderungen gesucht. Behinderung wird dabei mit einer geringeren Lebensqualität gleichgesetzt und eher als Last angesehen, die durch bestimmte pränatale Test vermieden werden soll. Eltern bzw. Frauen* sollen dann mit Hilfe der Ergebnisse der Tests entscheiden, ob sie das Kind abtreiben wollen oder nicht. Bei einem Schwangerschaftsabbruch nach PND geht es jedoch nicht um die Abtreibung eines ungewollten Kindes, sondern um den Willen, sich für ein „gesundes“ und gegen ein behindertes Kind zu entscheiden. Wir leben in dieser blöden neoliberalen Gesellschaft, in der solche Gesundheitsnormen dominieren, die ein „gesundes“ Kind als lebenswerter ansehen als ein beeinträchtigtes Kind. Und hier möchte ich besonders stark betonen, dass den Frauen* kein Vorwurf gemacht werden soll, die sich für eine Abtreibung nach einem positiven Befund entscheiden! Sie sind den gesellschaftlichen Zwängen total unterlegen! Kirsten Achtelik schrieb in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ dazu:

    „[…] es liegt nicht in der Hand der einzelnen Schwangeren, die Gesellschaft inklusiver und barriereärmer zu machen, sie kann nur entscheiden, dieses Problem möglichst nicht zu dem ihren zu machen. Die individuellen Entscheidungen von Frauen sind somit verständlich, als sie der subjektiven Erleichterung gesellschaftlich verursachten Problemen dienen.“

    Wir brauchen eine Gesellschaft, die Behinderung nicht als „Last“ ansieht und den Eltern genügend soziale Unterstützung sicherstellt. Es darf nicht sein, dass dieser Optimierungsgedanke soweit in unsere Gesellschaft durchsickert, dass die selektive Abtreibung als „normal“ abgestempelt wird. Wenn der Bluttest tatsächlich bald von den Krankenkassen übernommen wird, wäre das ein Schritt hin zur dieser besagten Normalität.

  3. Außerdem ist es meines Erachtens nach besonders kritisch zu sehen, dass sich radikale Abtreibungsgegner*innen, die sich beispielsweise beim „Marsch für das Leben“ organisieren, das Thema der Pränataldiagnostik zu Eigen machen. Sie versuchen sich als „wahre“ Gegner*innen der PND und als die „wirklichen“ Interessenvertreter*innen von Menschen mit Behinderung darzustellen und kritisierten somit auch lautstark den Bluttest „PraenaTest“. Das dürfen wir diesen Menschen, die eine menschenverachtende rechtsradikale Ideologie vertreten, nicht überlassen! Wir müssen uns ganz klar von den Argumentationen dieser sogenannten Lebensschützer*innen abgrenzen und trotzdem pränataldiagnostische Methoden kritisch betrachten. Ich sehe nicht in erster Linie den möglichen Schwangerschaftsabbruch nach einem positiven Befund kritisch, sondern die absurde Logik der PND: nämlich eine gesellschaftliche Wertvorstellung, die keinen Platz für Menschen mit Behinderung hat.

Ich könnte diese Liste nun noch weiterführen, aber möchte es bei diesen Punkten belassen. In Zukunft müssen wir uns als Grüne Jugend an dieses Thema heran wagen. Denn Pharmaunternehmen werden in Zukunft nicht weniger daran interessiert sein, neue Produkte dieser Art auf den Markt zu bringen und leider ist auch der „Marsch für das Leben“ in den letzten Jahren größer geworden. Lasst uns mutig sein und das Thema nicht antifeministischen, konservativen Abtreibungsgegner*innen überlassen!