Im Wahlkampf bestehen meine Hauptmahlzeiten aus Obst- und Müsliriegel. Und Kaffee! 95% meines Kaffee-Konsums beziehen sich auf die 2 Monate vor einer Wahl. Für jede warme Speise ist man dankbar, denn meistens ist man unterwegs und froh, wenn das Mittag- oder Abendessen mal nicht ausfällt. Meine Schlafzeit reduziere ich auf 6 Stunden pro Nacht, ist für viele Durchschnitt, für mich mit normalerweise 8 Stunden wenig. Ein paar Mal die Woche sind es auch nur 3 oder 4 Stunden, da ist man dann oft sogar wacher als bei 6. Die anderen Wahlkämpfer*innen, die ich kenne, fragen mich immer, wo ich die Zeit für so viel Schlaf hernehme, sie wären da weit von entfernt. Zeit nehmen, das trifft es wohl. Für Schlaf nehme ich mir Zeit. Dafür sitze ich dann bei jeder Zugstrecke, die länger als 10 Minuten geht, am Laptop, telefoniere herum, bin dankbar, dass ich das 10-Finger-System in der Schule gelernt hab. Es erlaubt mir, Mails zu tippen, während ich mit Personen rede, so kann ich diese direkt anschauen. Meine Uni schwänze ich. Was ich bitter bereuen werde, denn diese 2 Wochen werde ich an den restlichen Abenden und Wochenenden des Monats nachholen, so dass ich da auch nicht mehr Freizeit habe als nun.
Teile meines Freundeskreises sind auch in der Partei. Das hilft, dann sieht man sich mal am Infostand oder bei einer Podiumsdiskussion. Die anderen vertröste ich seit Wochen auf nach der Wahl. Ich bin nicht einsam währenddessen, auf keinen Fall! Die ganzen Grünen, die ich kennenlerne oder schon von Parteitagen kenne und nun wiedersehe, die sind immer super drauf. Alle erschöpft, mit tiefen Augenringen, aber eine Euphorie in der Stimme als würden sie das noch das restliche Jahr durchhalten. Was niemand würde, was niemand könnte, Energie brauchen wir alle trotzdem auch danach. Denn außerhalb vom Wahlkampf stemmen noch weniger Schultern alles. Bildungsarbeit, Abendveranstaltungen, Flyerdruck, Plakatieren, Demonstrationen, Stadtrat oder Kreistag. Viele sind gleichzeitig noch in anderen Verbänden aktiv – Geflüchtetenhilfe, Tierheime, Sorgentelefone, Bund Naturschutz usw. Kann ich verstehen, war ich ja auch lange Zeit, bis die Partei überhand gewonnen hat und alle Zeit fraß. Nur haben die auch noch Familie, Kinder, einen Haushalt. Ich mit meiner WG und einen Freundeskreis der sich sowieso nur zu Unzeiten trifft weil alle sonst studieren oder auf Seminare fahren hab es da viel einfacher.
Bei mir ging der Landtagswahlkampf an, direkt nach der Bundestagswahl. Den Jugendwahlkampf organisiere ich vor allem mit, mit sehr wenig Leuten wurde da eine komplette Kampagne aufgebaut, mit Material und Aktionen und zwei Bussen, die durch ganz Bayern fahren um Wahlkampf zu machen. Oft erzähle ich, wie sehr mich die Grünen beeindrucken, besonders solche, die schon seit 20 Jahren ihren Kreisverband alleine schmeißen und alles organisieren. Aber diese Menschen von der Grünen Jugend, ich sag euch, die Leben noch einmal in einer ganz anderen Welt. Klar gibt es die, die nur zu Veranstaltungen kommen und ab und an mal beim Christopher-Street-Day mithelfen. Auch gut! Die Aktivist*innen mit denen ich abhänge sind anders. Die studieren, arbeiten, lehnen sich teilweise noch gegen die Eltern auf, die konservativ sind, die haben kein Geld und stecken ihre komplette Energie (bei jungen Erwachsenen also sehr viel) in die Politik. Freizeit heißt mal einen Workshop besuchen, den man nicht selber hält. Oder mal auf einer Party die Lieder linker Bands mitsingen um am Morgen um 7 wieder aufzustehen für den Vortrag zu Utopien. Ansonsten sind die dauernd unterwegs, durch ganz Bayern, ganz Deutschland und hängen dazwischen in Telefonkonferenzen und in Pads am Laptop. Sie haben BahnCard 50 oder 100 und der Verband erstattet die Fahrtkosten, allein könnte sich das niemand leisten. Das Essen unterwegs ist teuer, wer Glück hat ist in einer Struktur mit Aufwandsentschädigung, die diese Mehrkosten trägt. 100€ können bei Bafög einen riesigen Unterschied machen. Das meiste ist allerdings ehrenamtlich, weil die Jugendverbände selbst wenig Geld haben. Sie werden staatlich finanziert, teils von der Mutterpartei, einige Spenden und ein paar Mitgliedsbeiträge. Und diese jungen Leute, puh, ihr wisst ja gar nicht wie fit die sind. Die können euch alle Minister*innen gefühlt aller Bundesländer aufsagen, aus dem Stehgreif eine Zusammenfassung der Kritik an der Konsumkritik liefern und die größten Probleme in der Sozialpolitik aktuell nennen, während sie dir gleichzeitig noch aufschreiben, was es für Lösungsansätze gibt und einen Exkurs geben wie der Faschismus den Feminismus gefährdet. Nebenbei haben sie dir dann noch 3 Sticker mit Messages wie ‚Viva la Vulva‘, ‚Bee or not to bee‘ und ‚Freistaat statt Polizeistaat‘ auf den Laptop geklebt. Die ein befreundeter Designer nach Feierabend noch die Nacht durch gestaltet hat.
Und dann sitz ich jetzt wieder, in der Bahn, auf dem Weg nach Passau. Wahlkampfendspurt, das Internet auf der Strecke mal wieder nicht vorhanden, daher schnell einen Artikel fürs Magazin tippen, deren Redaktionsmitglieder wahrscheinlich grad bei einer Aktion zu Artenschutz oder Mobilitätswende sind. Die Semesterferien hab ich in der Landesgeschäftsstelle der Grünen Jugend verbracht, seit drei Wochen bin ich fast dauerhaft auf Tour. Jeden Tag kommt der Moment, wenn ich mich frage, warum ich das mache. Wir haben alle unterschiedliche Gründe. Bei mir ist es die Angst vor dem Faschismus. Der Klimawandel. Die sexistische Scheiße mit der Frauen jeden Tag konfrontiert sind. Mir fallen die Forderungen im Wahlprogramm ein und wie sehr ich mir wünsche, dass diese umgesetzt werden. Während dauernd Push-Nachrichten zur Rodung des Hambacher Forsts einfliegen, man wieder von Naziaufmärschen liest, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken oder hier in Ankerzentren festgehalten werden – währenddessen bin ich auf der Straße und versuche etwas zu ändern. Ja es ist anstrengend und Nein es macht nicht immer Spaß (meistens schon). Ja es kostet mich wohl bessere Noten in der Uni und ich sehe manche Freund*innen viel zu selten. Trotzdem werde ich weiter machen. Diese letzten Tage bis zur Wahl durchhalten, die Monate danach Bildungsarbeit machen, demonstrieren, zur Europawahl 2019 aufrufen. Weil es wichtig ist, dass wir uns einsetzen. Gegen die ganze Scheiße, die passiert. Und wenn dann ein Grüner in Aschaffenburg für alle Wahlkämpfer*innen aus der Bustour der Grünen Jugend vegane Bolognese kocht, mit Salat und danach gibt’s noch Nachtisch … ja dann ist das auch schöner als einen Tag in der Uni zu verbringen oder eine neue Netflix-Serie zu bingen. Werde ich ab dem 15. Oktober trotzdem wieder machen.