Gewerkschaften und progressive grüne Ideen – Passt das?

Auge in Auge. Gefletschte Zähne nur Zentimeter vor seinem Gesicht, Blut pocht sichtbar durch die Halsschlagader. Der übelriechende Atem löst Würgereiz aus. Simon zittern die Knie. Er fragt sich ob dies sein letzter Tag gewesen ist? Und das alles nur wegen ein paar Rechtschreibfehlern im Berichtsheft? Mit den Tränen kämpfend verlässt der Azubi das Büro seines Ausbildungsbeauftragten. Die nächsten Tage wird er keinen Fuß in die Nähe der Person setzen können, die eigentlich sein Mentor auf dem Weg zu einer erfolgreichen Berufsausbildung hätte sein sollen. Doch an Stelle von motivierender Unterstützung erlebt Simon seit Ausbildungsbeginn lediglich Antipathie und Leistungsdruck.

Solche und ähnliche Situationen müssen Auszubildende in deutschen Betrieben fast alltäglich durchstehen. Das dies in Zukunft der Vergangenheit angehört ist das Ziel der Gewerkschaftsjugenden. Die IG Metall Jungend hat daher die Kampagne modern.bilden ins Leben gerufen. Ein Ziel der Kampagne: Eine Reform des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). Ob man das deutsche Berufsbildungssystem für einen Exportschlager hält oder nicht, viele ausländische Delegationen interessieren sich dafür, heute mehr denn je. Jeder Versuch einer Erklärung beginnt nahezu selbstverständlich mit dem Berufsbildungsgesetz aus dem Jahr 1969. Es ist der der Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und des Staates für die Berufliche Bildung in Deutschland. Schon damals ein Kompromiss und durch einzelne Novellierungen (zuletzt 2005) nur marginal verbessert, sind aus gewerkschaftlicher Sicht wesentliche Elemente wie die Finanzierung und das Recht auf Ausbildung darin nicht geregelt.

Die IG Metall Jugend fordert daher ein BBiG, das alle Formen der betrieblichen Ausbildung erfasst, das Qualitätsstandards festschreibt, junge Menschen von Kosten entlastet, die aufgrund der Ausbildung entstehen und Mitbestimmung auch an Berufsschulen ermöglicht. Jugendliche brauchen eine qualitativ hochwertige Ausbildung und klare, verlässliche Bedingungen. Aus der Sicht der IG Metall Jugend gibt es daher tiefgreifenden Reformbedarf im Berufsbildungsgesetz.

Eine zentrale Aufgabe von Gewerkschaften ist es Tarifverträge für die Beschäftigen auszuhandeln, wenn es sein muss werden die Forderungen mit Hilfe von Streiks durchgesetzt. In den letzten Wochen hat die IG Metall ihre Forderungen für einen neuen Tarifvertrag an die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie aufstellen. Die bisherigen Diskussionen und Befragungen in den Betrieben zeigen: Die Beschäftigten wollen mehr Selbstbestimmung bei ihrer Arbeitszeit. Die IG Metall fordert deshalb: Die Zeit ist reif für moderne Arbeitszeiten, die auch den Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden – und das unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen, beruflicher Qualifikation oder Kindern. Jeder Beschäftigte soll vorübergehend kürzer arbeiten können, um mehr Zeit zum Leben zu haben. Aktuell besteht kein Recht darauf aus persönlichen Gründen eine Reduzierung der Arbeitszeit einzugehen. Ebenso fehlt das Recht, sobald sich die Lebensumstände geändert haben, wieder Vollzeit zu arbeiten. So stecken tausende von Arbeitnehmer*innen in Zeitmodellen fest, die nicht zu ihrem Leben passen. Es sollen endlich die Beschäftigten über ihre Arbeitszeit bestimmen – nicht nur der Chef!

Durch den Abschluss von Tarifverträgen vereinbaren Gewerkschaften mit den Arbeitgebern für Branchen und Regionen sehr spezifische Aspekte der Arbeitswelt. Je stärker die Gewerkschaft desto günstiger die ausgehandelten Bedingungen für die Arbeitnehmer*innen. Allerdings nur so lange wie der Tarifvertrag gültig ist. Errungenschaften müssen jedes mal wieder neu erkämpft werden. Dieses System erlaubt eine Individualisierung an die zeitlichen, regionalen und branchenspezifischen Gegebenheiten. Um andauernde und allgemeingültige Verbesserungen der Arbeitswelt durchzusetzen ist die Politik in Form von Gesetzen gefragt. Oft werden Tariferfolge nach einiger Zeit in Gesetzesform bundesweit übernommen. Beispiel hierfür ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Klar ist: Gewerkschaftliche Positionen und jung-grünes Weltbild passen zusammen. Denn Gewerkschaften arbeiten an weit mehr als nur dem Abschluss von Tarifverträgen: So wird sich an herausgehobener Stelle in der Satzung der IG Metall als Ziel gesetzt zur Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen beizutragen.

Auf der anderen Seite steht die grüne Jugend für weit mehr als progressive Umweltpolitik. Der ohne Zweifel für die Zukunft zentrale Begriff „soziale Gerechtigkeit“, den die SPD als leere Worthülse vor sich herträgt, aber noch nie richtig ausfüllen konnte, kann mit jung-grünen Ideen gefüttert werden. Dem Rechtsruck der Gesellschaft, der zum Teil auf die Tatsache, dass sich Menschen sozial abgehängt fühlen, zurück geführt werden muss, kann nur entgegen gewirkt werden, wenn die jungen links-progressiven Bewegungen gemeinsam kämpfen. Gerade wir als Zukunft der (deutschen) Politik müssen uns klar werden: Wollen wir

„Erster Diener der deutschen Wirtschaft“

sein, oder Politik für die Menschen machen? Was spricht gegen eine vertiefte Zusammenarbeit von Gewerkschaften und der grünen Jugend?