Kommerzieller Feminismus: Eine Kritik.

Auf meinem Laptopbildschirm posiert ein Mädchen in einem weiten schwarzen Kleid mit weißem Aufdruck. Scheiß Werbung, denke ich mir und verdrehe die Augen. Wozu habe ich einen Adblocker installiert, wenn er ständig versagt? Aber da die Werbung zuerst geladen hat und meine Internetverbindung mit dem Rest der Seite noch kämpft, sehe ich sie mir doch etwas genauer an. Es handelt sich um ein Sweatshirtkleid, das von 19,99€ auf 12,99€ heruntergesetzt ist, wie mich H&M freundlich informiert, und der Text auf dem Kleid lautet Feminism: The radical notion that women are people. Das erstaunt mich dann doch; wenn mich jemand gefragt hätte, was ich mit Feminismus verbinde, wären mir Fast-Fashion-Marken sicher nicht in den Sinn gekommen.

Möglicherweise zu Unrecht, denn wie sich herausstellt, hat H&M nicht nur mehrere Shirts in der Kategorie „Feminism“ im Angebot, sondern sie sind auch nicht die Einzigen in ihrer Branche, die das Thema für sich entdeckt haben. Forever 21 war letztens wegen eines Shirts, dessen Aufdruck das Wort „Frau“ in verschiedenen Sprachen lautete, in einen Urheberrechtsstreit verwickelt, von Christian Dior gibt es ein Shirt, auf dem We should all be feminists steht, und Karl Lagerfeld hat 2015 sogar für Chanel auf dem Laufsteg eine feministische Demo inszeniert.
So weit, so gut. Erwartet hätte ich das nicht, aber im ersten Moment bin ich doch beeindruckt, sogar ein bisschen stolz auf meine Mitfeminist*innen, dass wir es so weit geschafft haben. Dass es inzwischen anscheinend schick ist, den eigenen Feminismus offen zur Schau zu tragen und wir das Vorurteil von den hysterischen, untervögelten Männerhasserinnen vielleicht endlich beiseite legen und eine vernünftige gesellschaftliche Diskussion führen können. Denn die Aussage, dass Frauen* auch Menschen sind und dementsprechende Rechte verdient haben, ist sehr wohl eine relevante, und je weniger eine Frau* den gesellschaftlichen Standards – weiß, cis, hetero, dünn, etc – entspricht, desto schärfer wird ihr Menschsein strukturell und individuell angegriffen.
Ein Beispiel wäre da das Recht am eigenen Körper: Zwar ist es nicht mehr ganz so offensichtlich schlimm wie 1966, als der Bundesgerichtshof urteilte, die Frau sei ihrem Ehemann gegenüber nicht nur zu Sex verpflichtet, sie habe es sich dabei außerdem nicht anmerken zu lassen, falls sie keinen Spaß habe, aber die Einstellung, dass der Körper einer Frau* ein Konsumobjekt ist, findet in verschiedenen Formulierungen sowohl auf gymnasialen Pausenhöfen als auch bei Begegnungen beim Feiern bis hin zu den Seminaren von Daryush Valizadeh, auch bekannt als Roosh V, beachtlichen Zuspruch.

Insofern wäre eine gewisse Popularisierung feministischer Thesen hilfreich: Auch wenn solche frauen*verachtenden Meinungen noch in breiten Teilen der Bevölkerung vertretbar sind, könnten es durch die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit auch die Gegenargumente werden. Vielleicht hat sich als (Queer-)Feminist*in zu bezeichnen eines Tages den gleichen Stellenwert wie sich als Öko zu bezeichnen – wahrscheinlich nicht das Lieblingsthema des Gesprächspartners, aber in den allermeisten Fällen als ethisch richtig anerkannt und vor allem mit deutlich weniger Anfeindungen verbunden. Wenn diese Entwicklung eintritt, sollte unser Dank allerdings nicht H&M und ähnlichen Konzernen gelten, und dass sie es überhaupt tut, ist längst nicht sicher.

Denn was mit solchen Shirts verkauft wird, ist nicht etwa Aufklärung, und der Grund, warum beliebte, international agierende Unternehmen plötzlich auch progressiv und radikal erscheinen wollen, heißt selbstverständlich nicht ehrliches Interesse. Wenn es Fast-Fashion-Firmen darum ginge, wie es um die Rechte von Frauen* (oder sonst irgendjemandem) steht, wäre der erste Schritt, allermindestens faire Produktionsstandards bei ihren Zulieferern durchzusetzen, anstatt sich je nach Laune mit dem Verweis auf die Zulieferer aus der Schlinge zu ziehen oder Ausbeutung als wirtschaftliche Förderung hinzustellen. Das wäre eine mutige und folgenreiche strukturelle Veränderung, die aber offensichtlich nicht stattgefunden hat.

Was wir stattdessen sehen, ist die Reduktion von progressiven Thesen auf leicht verdauliche Marketinghits. Sich hinzustellen und zu sagen, Frauen* sind Menschen, ist radikal, aber nur, wenn die Person, die mit dieser Aussage konfrontiert wird, über das entsprechende Vorwissen verfügt, und dabei ist im Bereich Fast Fashion dieser Aufdruck noch der kontroverseste. (Diors We should all be feminists ist dagegen fast schon gewagt, aber im Gegensatz zu Fast-Fashion-Marken ist Dior auch nicht auf Massentauglichkeit angewiesen.) Dass die Gleichberechtigung von Frauen* und Männern* auch in Deutschland noch längst keine Realität ist, ist aber eine Tatsache, die außerhalb von Kreisen, die sich speziell mit dieser Frage beschäftigen, leider nicht allzuvielen Menschen bewusst ist. Und ohne diese Grundeinstellung klingt der Satz „Frauen* sind Menschen“ nach einer Überflüssigkeit, schlimmstenfalls nach der Hysterie, die uns so oft vorgeworfen wird, auf jeden Fall aber harmlos. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, der hier aufgestellt wird, und der kleinste gemeinsame Nenner stößt weder Diskussion noch Veränderung an.

Dafür bräuchte es entweder couragiertere Sprüche oder die Einordnung in den gesellschaftlichen Kontext. Ersteres lag aber offenbar nicht in der Absicht des Herstellers und zweiteres ist in dem Rahmen schwer zu realisieren – das Gesamtwerk von Bell Hooks in Schriftgröße 2 auf ein Shirt zu drucken, würde zwar jeden Anspruch an Ausführlichkeit erfüllen, wäre aber natürlich kaum zweckdienlich. Falls also eine Person, für die Feminismus noch ein gänzlich neues Thema ist, aus diesem Shirt schlau werden möchte, muss sie sich schon selbst darum kümmern.
Aber das ist ja auch gar nicht unbedingt nötig. Natürlich soll das Shirt keine gesellschaftliche Veränderung hervorrufen, sondern der*dem Träger*in lediglich das Gefühl vermitteln, sie*er würde dazu einen Beitrag leisten. Ob das tatsächlich geschieht oder nicht, ist vollkommen irrelevant, denn dass sich gute Gefühle besser verkaufen als tatsächliche Waren, haben die Marketingabteilungen schon vor langer Zeit begriffen, und es gibt kein besseres Gefühl als das gute Gewissen.

An dieser Stelle möchte ich einräumen, dass ich es durchaus für richtig halte, sich mit Shirts, Taschen oder Laptopstickern mit feministischen Sprüchen durch die Öffentlichkeit zu bewegen, und es geht mir nicht darum, Feminismus als einen elitären Club darzustellen, zu dem nur Zutritt findet, wer mindestens fünf Aufgeklärtheitsabzeichen vorweisen kann. Gleichzeitig muss allerdings klar sein, dass es erstens weit aussagekräftigere Slogans gibt als diejenigen, die in der Modeindustrie derzeit verwendet werden – Beispiele wären „Abtreibung ist ein Menschenrecht“ oder „Auch eine Frau mit Bart ist eine Frau“ –, und zweitens, dass es auch als Einzelperson weit effektivere Formen des Aktivismus gibt als das Tragen von Sprüchen. Das bedeutet nicht, dass es persönlich verwerflich ist, nicht mehr tun zu wollen oder zu können, aber dadurch alleine wird noch keine langfristige gesellschaftliche Veränderung bewirkt.

Genau das Gegenteil wird jedoch durch die kommerzielle Vermarktung von progressiven Inhalten suggeriert, wie es mit dem Feminismus gerade geschieht: Es genüge, das so angepriesene Produkt zu konsumieren, um eine gesellschaftliche Veränderung hervorzurufen, eigenes Engagement sei gar nicht mehr nötig. Dabei ist es im Rahmen des bewussten Konsums natürlich sinnvoll, sich für das Produkt zu entscheiden, von dem man sich die größte Chance auf Wandel erhofft. Wenn der Anteil an echten Inhalten des Produktes allerdings so verschwindend gering ist, dass der reale Wandel weit hinter dem versprochenen Ausmaß zurückbleibt, entsteht ein Problem. In dem Maß, wie der Inhalt vorhanden und allgemein verständlich ist, tritt mit der Zeit ein Normalisierungseffekt ein, aber wenn die Form, in der eine These präsentiert wird, ganz oder beinahe sinnentleert ist, übernimmt die Öffentlichkeit eben die Ansicht, das gelte auch für die These selbst. Was als Marketingstrategie dargestellt wird, wird auch als Marketingstrategie wahrgenommen.

Feminismus wird dadurch von einer Bewegung zu einem Trend – vielleicht noch etwas aufregender und spannender als Leggings mit „satanistischen“ Kreuzen, aber im Kern das Gleiche: etwas, das eine Zeitlang oberflächlich mitgetragen wird, solange es eben aktuell ist, und dann gegen etwas Neues und noch Spannenderes ausgetauscht wird. Und das wäre nicht nur schade, sondern direkt kontraproduktiv, denn wenn Feminismus als bloße Modeerscheinung ohne Inhalt empfunden wird, werden das auch die Forderungen der Aktivist*innen.

Ist das jetzt das Ende der Bewegung? Nein. Feminismus war notwendigerweise schon immer höchst politisch und dementsprechend scharfzähnig, und ich bin optimistisch genug zu glauben, dass es möglich ist, die Vermarktung zu unserem Vorteil zu nutzen. Wenn feministische Worthülsen alltäglich werden, senkt das gleichzeitig auch den Widerstand dem Thema gegenüber und gibt uns die Gelegenheit, diese Worthülsen mit Inhalten zu füllen. Zweifellos wird es außerdem nicht wenige Menschen geben, die erkennen, dass mehr hinter dem Wort Feminismus steckt und für die ein solches Shirt den Impuls liefert, sich auf eigene Faust weiter aufzuklären und zu engagieren. Wenn das geschieht, sollten wir allerdings nicht aus dem Gedächtnis verlieren, dass wir das ausschließlich dem eigenen Interesse und Antrieb dieser Menschen zu verdanken haben. H&M und ähnliche Firmen mögen das Medium zur Verfügung gestellt haben, aber sie haben sich weder die übermittelten Aussagen selbst ausgedacht noch findet die Übermittlung auf eine Art und Weise statt, die die bewusste Auseinandersetzung mit ihnen anregt.