Von Clara und Simon Freudenstein und Jonathan Gerschütz
“Es war nicht meine Intention und es wird niemals meine Intention sein, jemanden zu diskriminieren”, sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter vor zwei Jahren und versuchte somit, wieder aus dem Fettnäpfchen zu steigen, in das er zuvor getreten war. Laut seiner vorherigen Aussage nämlich sollten homosexuelle Menschen während der kommenden Fußballweltmeisterschaft der Männer 2022 in Katar doch bitte „jegliche sexuelle Aktivität unterlassen“. Stattdessen verlangte er Respekt vor den anderen kulturellen Gegebenheiten.
Zu denen gehört beispielsweise auch, dass in einigen Golfstaaten diskutiert wird, bei Ausländern sogenannte „Schwulentests“ einzuführen, bevor sie ihre Arbeitsgenehmigung bekommen. Abgesehen davon, dass es wissenschaftlich gesehen kompletter Schwachsinn ist, Schwulen und Lesben ihre sexuelle Orientierung mittels eines medizinischen Tests nachweisen zu wollen, ist dieses Vorhaben, neben der davor beschrieben massiven Beschränkung der eigenen Freiheit im privaten Bereich, einfach nur homophob, diskriminierend und blödsinnig.
Schon jetzt zeigt sich das Konfliktpotenzial, das immer dann deutlich wird, wenn der geforderte kulturelle Respekt vor anderen Umständen konträr zum respektvollen Miteinander steht. Natürlich ist es wichtig, sich an die Sitten in den Gastgeberländern anzupassen. Dennoch würde das bei diesem Fall bedeuten, sich Homosexuellen gegenüber respektlos zu verhalten.
Doch nicht nur in den Golfstaaten hat mensch mit homophober Kultur zu kämpfen; auch im sonst so toleranten Deutschland ist Homosexualität noch immer ein Problem für viele Menschen. Was sagt es denn über Fußball aus, wenn sich ein Profispieler erst nach seiner Karriere als homosexuell outet, weil ihm seine Sexualität sonst möglicherweise die Karriere ruiniert hätte. Die Rede ist von Thomas Hitzlsperger, der dies Anfang des Jahres tat. In Deutschland ist er so Pionier und das im Jahr 2014. Mit diesem Schritt, der heutzutage leider immer noch Muts bedarf, stieß er eine Debatte darüber an, warum in unserem Land ein Thema wie Homosexualität, das eigentlich vollkommen normal sein sollte, im Fußball immer noch so brisant ist.
Leider zeigten mehrere Fernsehinterviews, dass die Welt des Fußballs, vor allem durch mangelnde Aufklärung, Homosexualität im Sport noch immer als entnormalisiert und defizitär betrachtet. Gerade Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann, der eins mit Hitzlsperger spielte, formulierte etwas schwammig, dass es ihn beunruhige, mit Hitzlsperger geduscht zu haben. So sieht die Subkultur Fußball Homosexualität immer noch konkurrierend mit dem „männlichen Idealbild“, mit dem auch der Frauenfußball zu kämpfen hat.
Aber im Fußball herrschte ja schon immer eine etwas andere Sichtweise auf die Dinge. Schon Berti Vogts sagte beispielsweise während der WM 1978 in Argentinien, welches zu der Zeit unter einer schrecklichen Diktatur litt: „Ich habe in Argentinien keine politischen Gefangenen gesehen”. Und auch Franz Beckenbauer habe bei seinen vielen Katar-Reisen “noch keinen einzigen Sklaven […] gesehen.“ Er wisse nicht, „woher diese Berichte kommen“ und da er schon so oft in Katar gewesen sei, „habe er ein anderes Bild, das – so glaubt er – realistischer sei [als die Berichte der Medien; Anm. d. Red.]“.
Die heute-show sagte zu diesen Äußerungen passend: „Franz Beckenbauer, der einzige Deutsche der wirklich jeden Dünnschiss labern darf.” Dass die Situation der Arbeiter*innen vor Ort nämlich alles andere als menschenwürdig ist, machte u. a. ein Bericht von Amnesty International klar. In diesem wird gezeigt, dass die für den Bau der fünf Stadien und die Erweiterung der Infrastruktur benötigten Arbeitsmigranten*innen oft monatelang auf ihr Gehalt warten müssen und zur Arbeit gezwungen werden. Andernfalls wird mit kompletten Lohnausfall oder auch Abschiebung zurück in ihre meist südostasischen Herkunftsländer gedroht. Systematische Ausbeutung und Zwangsarbeit ist Alltag. Darüber hinaus sind auch die Hygienebedingungen in den oft stromlosen Massenunterkünften katastrophal, genügend Lebensmittel und Getränke zu bekommen ist ein großes Problem. Die Folgen dieser Arbeitsbedingungen sind tragisch. Ende September letzten Jahres war in der britischen Tageszeitung „The Guardian” von 44 Toten Nepalesen die Rede, Mitte Februar laut der Menschenrechtsorganisation Pravasi Nepali Coordination Committee von 400 und nach Schätzungen von Expert*innen könnte die Zahl umgekommener Migrierenden bis zu Beginn der WM auf ca. 4000 steigen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass besagte Einschätzung Beckenbauers alles andere als realistisch ist, sondern, im Gegenteil, nur von jemandem kommen kann, der komplett den Zugang zur Realität verloren hat. Dass dem so ist, sieht mensch u.a. auch an dem Umgang mit Steuersündern beim FC Bayern, doch das Thema verdient einen eigenen Artikel.
Abschließend lässt sich nun der „Respekt vor anderen Kulturen” generell so hinterfragen: Kann mensch wirklich noch von ‚Respekt’ sprechen, wenn es um eine massive, diskriminierende Beschränkung der persönlichen Freiheit geht? Ist es respektlos, auf seine eigenen Menschenrechte, oder die von ausgebeuteten Arbeiter*innen zu bestehen? – Wir meinen: Nein. Stattdessen wäre es nötig, das, vor allem durch Medien gestärkte, typische Menschenbild, das im Fußball immer noch vermittelt wird, stärker zu liberalisieren. Der Fußball hat in Europa einen hohen Stellenwert und kann als Botschafter innerhalb Europas und in der ganzen Welt fungieren. Doch ist es wichtig, ein Bild voller Vielfalt und Akzeptanz zu übermitteln anstatt irgendwelcher antiquierter Machtvorstellungen oder Idealbilder.